Aus Ärzte Zeitung (www.aerztezeitung.de) vom 4.10.2000
Interview mit Professor Dr. Heyo Eckel über neue Hinweise zu Risiken des Mobilfunks:
"Wir müssen die Grenzwerte unserem jüngsten Kenntnisstand anpassen"
Die Risiken nicht-ionisierender Strahlung werden vom
Gesetzgeber bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Diese
Auffassung vertritt Professor Heyo Eckel, der Vorsitzende des
Ausschusses Umwelt und Gesundheit der Bundesärztekammer, im
Interview mit der "Ärzte Zeitung". Die Ärzteorganisation
schloß sich einer Resolution an, in der aus Vorsorge die
drastische Absenkung der bislang geltenden Grenzwerte gefordert wird.
Florian Staeck befragte den Radiologen nach den Gründen für
diese Entscheidung. Anläßlich der Versteigerung der
UMTS-Lizenzen sagte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller
über mögliche Gesundheitsgefahren des Mobilfunks: "Es gibt
keine Veranlassung, zusätzliche Vorsorgemaßnahmen ohne
solide wissenschaftliche Grundlage einzig aufgrund vereinzelter
Ängste zu ergreifen". Eine Aussage, die Sie unterschreiben
würden?
Eckel: Nein, dem widerspreche ich. Gewöhnlich wird eine Risikoabschätzung vorgenommen, wenn eine neue Großtechnik - und darum handelt es sich beim Mobilfunk - installiert wird. Bislang aber gibt es nur wenige Arbeiten, die sich mit der Folgenabschätzung von gepulster Strahlung durch den Mobilfunk für den Menschen beschäftigen. Dabei handelt es sich vor allem um tierexperimentelle Studien, deren Ergebnisse aufhorchen lassen. Wir als Ärzte haben die Pflicht, angesichts dieser Hinweise auf die Einhaltung des Vorsorgeprinzips zu dringen.
Ärzte Zeitung: Was heißt das konkret?
Eckel: Eine Reihe von Wissenschaftlern hat sich im Juni auf einer Tagung in Salzburg dafür ausgesprochen, die geltenden Grenzwerte in Deutschland und der EU massiv zu reduzieren auf ein Milliwatt pro Quadratzentimeter. Dies entspricht einem Bruchteil der derzeit geltenden Grenzwerte. Die Konsultativtagung deutschsprachiger Ärzteorganisationen - also auch die Bundesärztekammer - hat sich im Juli dieser in Salzburg gefaßten Resolution angeschlossen.
Ärzte Zeitung: Welche neuen Ergebnisse wurden in Salzburg vorgetragen?
Eckel: Tierversuche weisen darauf hin, daß nicht-ionisierende Strahlung offensichtlich mutagen wirken kann. Zudem wurden gewichtige Hinweise dafür gefunden, daß die Mißbildungsrate bei Tieren, die dieser Strahlung über einen langen Zeitraum ausgesetzt sind, höher ist als bei anderen Populationen. Beim Menschen haben Untersuchungen an freiwilligen Probanden mehrfach gezeigt, daß deren Gedächtnis- und Konzentrationsleistungen unter der Einwirkung dieser Strahlung abnehmen kann. Angesichts dieser Ergebnisse heben wir warnend den Finger und mahnen weitere Grundlagenforschung an.
Ärzte Zeitung: Fragt man beim zuständigen Bundesamt für Strahlenschutz nach, so besteht anscheinend kein Grund zur Besorgnis.
Eckel: Ich bin sehr verwundert über die Haltung des Strahlenschutzamtes, das mögliche Folgen völlig herunterspielt. Ich möchte aber eines klarstellen: Wir wollen weder Panik verbreiten noch die Mobilfunk-Technik verteufeln. Wir Ärzte sind auf Technik angewiesen. Als Radiologe weiß ich, wovon ich rede: In der Radiologie haben wir über Jahrzehnte hinweg immer wieder die Grenzwerte gesenkt, weil wir fortlaufend weitergehende Erkenntnisse gewonnen haben. Also müssen wir auch in diesem Fall Grenzwerte ständig dem wachsenden Kenntnisstand anpassen.
Ärzte Zeitung: Wenn sich bei den nicht-thermischen Wirkungen der Strahlung, keine biologische Effektschwelle angeben läßt, wie sollen dann Grenzwerte festgelegt werden?
Eckel: Vorsorge bedeutet nicht einen völligen Ausschluß von Risiken. Man muß pragmatisch verfahren und die Grenzwerte so niedrig ansetzen, daß sich diese Technik gerade noch realisieren läßt und zugleich ein Höchstmaß an Vorsorge gewährleistet ist - so, wie in der Salzburger Resolution gefordert.
Ärzte Zeitung: In Großbritannien hat die Regierung eine unabhängige Expertenkommission beauftragt, einen Bericht über mögliche gesundheitliche Folgen des Mobilfunks vorzulegen. Das seit Mai vorliegende Gutachten gibt eine Reihe von Empfehlungen an Industrie, Planer, Genehmigungsbehörden und die Politik - ein nachahmenswertes Vorgehen?
Eckel: Dies wäre ein sinnvoller Weg. Der Gesetzgeber sollte dringend ein nationales Expertengremium zusammenrufen und bislang offene Fragen klären lassen.
Ärzte Zeitung: Wird der Ausschuß für Umwelt und Gesundheit der Bundesärztekammer dieses Thema auf dem Schirm behalten?
Eckel: Ja, neben eigenen Tagungen zu diesem Thema werden wir im November ein Presseseminar veranstalten und alle beteiligten Akteure - auch aus der Industrie - an einen Tisch bitten. In diesen Gesprächen werden wir nachdrücklich unsere Position vorstellen. Wir Ärzte sind Anwälte der Patienten und daher aufgefordert, als "Watch dogs" auch Laut zu geben, wenn es wissenschaftlich seriöse Hinweise gibt, die auf Gesundheitsrisiken durch Mobilfunk hindeuten.
Zusatzkommentar Auch neueste Äußerungen der Bundesärztekammer zu Mobilfunk und deren Grenzwerten bestätigen den Wunsch nach einer vorsorglichen Senkung der Grenzwerte...